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Warum kreativ sein nicht nur für Kinder wichtig ist

Das Wort „Kreativität“ stammt vom lateinischen Wort „creare“ ab und bedeutet wörtlich übersetzt: schaffen, erschaffen und hervorbringen. Es bildet in vielen Sprachen die Wurzel für Begriffe, die mit Schöpfung von Neuem, Kunst und Innovation zusammenhängen.

Auch wenn Kreativität oft nur im Kontext von Kunst-Schaffen gesehen wird, bedeutet „kreativ sein“ allgemein die Fähigkeit, neuartige Ideen, Konzepte, Lösungen oder Werke zu entwickeln. Sie ist unentbehrlich in den verschiedensten Bereichen des Lebens; in Kunst, Design, Musik und Literatur genauso wie in Wissenschaft und Technologie oder beim Meistern des Alltags und Überleben in der Wildnis. Kreativität wird in allen Lebenslagen gebraucht, manchmal ist sie sogar überlebensnotwendig. Jeder Mensch geht mit den gegebenen Lebensumständen und Herausforderung unterschiedlich um und ist im eigenen, individuellen Maße kreativ.

Die Gründe, warum Menschen kreativ werden, variieren: Ein sehr starker Antrieb ist der Wunsch nach der Erfüllung von Bedürfnissen. KI, künstliche Intelligenz, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther, hat keine Bedürfnisse und kann deswegen auch keine neuen Ideen entwickeln oder kreativ sein. Probleme und Herausforderungen, die gelöst werden müssen, lassen uns kreativ werden. Kreativität unterstützt uns außerdem dabei, unsere Gedanken, Gefühle und Ideen auszudrücken, uns selbst besser zu verstehen und mit anderen Menschen zu kommunizieren. Manchmal hilft Kreativität, Stress zu bewältigen und manchmal ist sie einfach nur ein Ausdruck von purer Lebensfreude.

Und damit wird klar, warum Kreativität für Kinder UND Erwachsene wichtig ist: Sie fördert kritisches Denken und analytische Fähigkeiten und ermutigt Kinder, über Ideen nachzudenken, sie auszuprobieren und spielerisch herauszufinden, ob sie funktionieren oder nicht. Kreatives Denken ermöglicht es Kindern, verschiedene Ansätze zur Lösung von Problemen zu erkunden. Sie lernen, flexibel zu sein und Herausforderungen mit eigenen Strategien anzugehen. Erfolgreiche Umsetzung von Ideen fördert das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl. Gelingt es nicht, die Ideen wie geplant umzusetzen, üben Kinder, mit Misserfolgen umzugehen, dranzubleiben und flexibel zu reagieren. Kreative Aktivitäten können eine Möglichkeit sein, Stress abzubauen und sich zu entspannen, das wird auch für Kinder immer wichtiger. Wenn Kinder in Gruppenprojekten arbeiten oder Ideen mit anderen teilen, bekommt Kreativität eine soziale Dimension und fördert Teamarbeit, Kommunikation und Kooperationsfähigkeit. Und ohne jeden didaktischen Hintergedanken kann Kreativität einfach nur Spaß und Freude machen und es Kindern ermöglichen, die Welt und sich selbst auf spielerische Weise zu erkunden.

Dazu schreibt Rick Rubin in seinem Buch „kreativ. Die Kunst zu sein“, dass das Erziehungs- und Bildungssystem immer noch darauf abzielt, Kinder zu angepassten Mitgliedern der Gesellschaft zu formen. Wenigen Kindern, so meint er, wird beigebracht, wie sie Zugang zur eigenen Sensibilität finden. Stattdessen wird ihr angeborener, unabhängiger Geist „gezähmt“ und ihr freies Denken durch Regeln und Erwartungen eingeschränkt. Damit wird es, so sagt er, für Kinder schwer, zu erforschen, wer sie wirklich sind und wozu sie fähig sind.

Kinder brauchen, um kreativ werden zu können, Zeit, in der sie sich ohne äußere Vorgaben bewegen und beschäftigen können. Langeweile von Kindern ist für Eltern schwer auszuhalten. Oft wird den Kindern „geholfen“, indem ihnen Vorschläge gemacht werden, was sie tun könnten, der Fernseher oder die Playstation angeschaltet werden oder die freie Zeit der Kinder mit „sinnvollen“ Aktivitäten verplant wird. Dabei sind gerade ausreichend „lange Weilen“ zwingend notwendig, dass Kinder sich selbst mit den eigenen Gefühlen erfahren können, die eigene Sensibilität spüren und so kreativ werden.

Neben ausreichend Zeit brauchen Kinder einen äußeren Rahmen, in dem sie ihre Kreativität „ausleben“ können: unterschiedliche Materialien, Wände, die bemalt, Fußböden und Kleidung, die „dreckig“ werden dürfen, Platz, sich frei zu bewegen und mit allen Sinnen zu erfahren. Der beste Ort hierfür: die Natur. Wie schön, dass Kinder heute in Waldkindergärten, Bauernhofkindergärten oder Strandkindergartengruppen von dieser Zeit in der Natur profitieren können.

Natürlich wird die kindliche Kreativität auch geprägt von ihren Vorbildern. Wenn wir Erwachsenen mit ihnen zusammen neugierig sind, forschen, spielen, ausprobieren, Ideen entwickeln, scheitern, neu anfangen, Fehler zulassen, Misserfolge als Teil des Weges bewerten, nicht aufgeben, Erfolge feiern und damit Kreativität vorleben, dann profitieren nicht nur die Kinder davon. Immer wieder können wir uns dabei selbst fragen: „gibt es noch andere Möglichkeiten außerhalb dessen, was ich selbst erfahren und gelernt habe?“ Oft genug werden wir staunend feststellen, wie häufig wir diese Frage mit „ja“ beantworten können. Ganz wichtig ist hier, dass nicht wir Eltern diejenigen sind, die die Richtung vorgeben oder sagen, wie es gemacht wird, wenn wir die Kreativität unserer Kinder anregen wollen. Festgelegte Bewertungskriterien für „schön“ oder „gut“ sollten wir vermeiden, sie können jede Lust, kreativ zu werden, im Keim ersticken. Auch Lob, verbunden mit einem „aber“, ist eher kontraproduktiv.

Gemeinsame Museums- oder Konzertbesuche können, genauso wie Bücher, Gespräche oder Reisen inspirieren und anregen, selbst kreativ zu werden. Eine gute Grundlage an Wissen und Fähigkeiten ermöglicht es, aus bereits Vorhandenem Neues zu kreieren – auch in diesem Bereich können wir die Kreativität unserer Kinder fördern. Mir kommt das Bild einer Sonne in den Sinn und wie Kinder lernen, sie zu malen: gelb natürlich, und mit Strahlen. Sieht so eine Sonne aus? Fühlt sich die Sonne so an? Wie würden Kinder eine Sonne malen, wenn wir es ihnen nicht vormachen würden? Worauf legen wir unsere Kinder fest, wenn wir ihnen beibringen, wie eine gemalte Sonne auszusehen hat? Wird es Kindern irgendwann möglich sein, ohne abwertende Kommentare eine Sonne individuell zu gestalten?

Jedes Kind wird mit einer eigenen, individuellen, innewohnenden Kreativität geboren. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem Kinder diese Kreativität nicht nur erhalten, sondern entfalten können, ihnen den Freiraum zu gewähren, ihren eigenen kreativen Weg zu finden und auszuprobieren, was für sie am besten funktioniert. Wenn uns das gelingt, werden wir staunen, was unsere Kinder alles schaffen können!

Buchtipp: „kreativ. Die Kunst zu sein“ von Rick Rubin
Das Kreativ-Geheimnis des Star-Produzenten hinter Johnny Cash, Adele, Run-DMC, Jay-Z und U2. Rick Rubin hat intensiv darüber nachgedacht hat, woher Kreativität kommt und woher nicht, und hat gelernt, dass es bei Künstler*innen nicht um ihre Leistung geht, sondern um ihre Beziehung zur Welt. Kreativität hat einen Platz im Leben eines jeden, und jede*r kann diesen Platz erweitern.

Foto: willma / photocase.de

Barbara Braun
Barbara Braun ist Gartenbauingenieurin und Mutter von fünf Kindern. Sie schreibt seit vielen Jahren immer wieder für Kinderkram über Themen, die ihr am Herzen liegen.