Start Musik Die Macht der Musik

Die Macht der Musik

Musik ist eines der Fächer an Schulen, die schnell mal leiden müssen – zugunsten von Gegebenheiten, die „jetzt gerade mal wichtiger“ sind. Da fällt die Stunde Musik aus, weil die Schülerinnen und Schüler noch auf die anstehende Mathearbeit vorbereitet werden müssen. Oder der Fotograf ist zu Besuch. Vor allem an Grundschulen mangelt es laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2020 an ausgebildeten Musiklehrer*innen. Und während der Corona-Hochphase wurde Musik gänzlich aus dem aktiven Unterrichtsgeschehen verbannt. Dabei ist Musik nachgewiesenermaßen so wichtig für unsere sozialen und kommunikativen Fähigkeiten. An den Kieler Schulen „Schule am Brook“ und „Max-Planck-Schule“ wird Musik und Musizieren deshalb besonders gefördert.

Was ist ein Fagott? Wie klingt ein Cello? Und wie fühlt es sich an, eine Gitarre in der Hand zu halten? Das sind Fragen, denen die Kinder des sechsten Jahrgangs der Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel-Gaarden seit Beginn des Schuljahres nachgehen können. Die Schule ist neuerdings eine Musikschule. Das bedeutet, dass die sechsten Klassen ein halbes Jahr lang wöchentlich zwei Stunden mehr Musikstunden haben als ursprünglich im Lehrplan vorgesehen. In dieser Zeit lernen sie verschiedene Instrumente kennen und eines davon zu spielen.

Für viele der Kinder ist das nicht selbstverständlich, berichtet der Schulleiter Ulf Daude: „Wir haben etliche Schülerinnen und Schüler, deren Familien nicht aus Deutschland kommen. In unserem Bildungssystem ist es normal, dass Kinder auch nach der Schule noch in einen Verein gehen oder ein Instrument spielen, also dass sich Bildung aus Schul- und Freizeitaktivitäten zusammensetzt. Das ist in vielen anderen Ländern nicht so. Wir versuchen daher Angebote zu machen, so dass Schule nicht nur ein morgendlicher Pflichtteil ist. Sie tragen dazu bei, dass die Kinder gerne zur Schule gehen. Etwa, weil sie hier musizieren können.“ Der Gedanke dahinter: Wer gerne zur Schule geht, lernt auch besser. Und Kinder mehr als den theoretischen Fachunterricht kennenlernen zu lassen, bedeutet, Bildungschancen anzugleichen.

Die Gemeinschaftsschule am Brook ist eine „Perspektivschule“: Weil es hier besondere Bedarfe gibt, etwa aufgrund der Sprache, erhält sie gesondert Geld. Dies wird nun unter anderem in das Projekt „Abenteuer Musik – Türen für die Zukunft öffnen“ investiert, für das sich die Schule mit dem Kieler Verein Initiative gegen Kinderarmut (inka), dem musiculum und der Stiftergemeinschaft der Förde Sparkasse zusammengetan hat. Die Schüler*innen können mit ÖPNV-Bussen zu der Lernwerkstatt fahren, die Räumlichkeiten und Instrumente im musiculum nutzen, erhalten Unterricht von Musikpädagogen und werden zudem von der Sozialpädagogin und einer Lehrkraft der Schule begleitet. Zum Abschluss gibt es ein Konzert.

Wenn der erste Jahrgang das Projekt durchlaufen hat, starten die nächsten sechsten Klassen am musiculum. Und diejenigen, die nach der Projektphase ihr Instrument weiterspielen möchten, werden vom inka-Verein gefördert. „Wir möchten unseren Schülerinnen damit die Chance geben, über Musik auch ihr weiteres Lernen zu fördern und ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln“, so Daude. „Gute Musiker sind nachweislich oft auch gute Mathematiker.“ Und nicht nur das: Musik hat Einfluss auf unseren Herzschlag, kann Stress verringern und wird therapeutisch eingesetzt. Aber – und das ist das Spannende – sie stärkt auch unsere sozialen Kompetenzen: Eine Langzeit-Studie an Berliner Grundschulen ergab, dass die Zahl der Schülerinnen, die ausgegrenzt wurden, deutlich abnahm und das Klima an den teilnehmenden Schulen merklich ruhiger war. Durch gemeinsames Musizieren lernen die Kinder, aufeinander zu hören und einander wahrzunehmen. Sie lernen so auch, den Stimmklang des anderen zu hören und damit verbunden seine Stimmung. Das führt offenbar zu einem rücksichtsvolleren Umgang miteinander. Die bisherigen Rückmeldungen und Beobachtungen an der Gemeinschaftsschule in Gaarden sind durchweg positiv: „Diese Kinder freuen sich richtig nach dem Wochenende, wieder in die Schule zu gehen, weil sie Lust auf die Musikstunde haben“, so Ulf Daude.

Auch an der Kieler Max-Planck-Schule beobachten die Lehrkräfte, dass sich gemeinsames Musizieren positiv auf den Umgang der Schülerinnen und Schüler untereinander auswirkt. Dort gibt es seit 2009 für die Jahrgänge 5 und 6 eine Streicherklasse und seit 2010 außerdem eine Bläserklasse. Wer mitmacht, hat über einen Zeitraum von zwei Jahren zwei Stunden Musik pro Woche – davon eine zum Erlenen der Spieltechniken und eine als Orchesterprobe. Hier ist die Teilnahme an den Musikklassen mit Kosten für die Eltern verbunden. Weil der Zugang zur Musik aber allen gleichberechtigt zur Verfügung stehen soll, können Kinder mit einer Kielkarte einen Antrag auf Kostenerstattung stellen. Wer nach Ablauf der Projektphase sein Instrument weiterspielen möchte, kann das über eine Kooperation mit einer Musikschule machen. Und Interesse ist da: „Vor Corona war die Quote derjenigen, die nach der Bläserklasse in das Orchester oder die Big Band gehen steigend“, berichtet Eva Bornett, die zuständige Lehrerin für die Bläserklassen. Die Erfahrung der Schule zeigt: Musizieren steigert die Konzentrationsfähigkeit und das Spielen in der Gemeinschaft fördert den Teamgeist, die Toleranz und die Kreativität. „Hier kommen jeweils Kinder aus verschiedenen Klassen zusammen“, so Bornett. „Die Kinder haben dadurch mehr Kontakt außerhalb ihrer Klasse. Die Kommunikation, das Zusammenspielen von Jungen und Mädchen ist viel selbstverständlicher. Und in Bezug auf Konzerte und Auftritte gibt es ein starkes Wir-Gefühl.“

Die Journalistin Carola Weyers lebt mit ihrer Familie am Kieler Ostufer. Sie findet es toll, für Kinderkram zu schreiben – so darf sie immer wieder in neue Welten eintauchen und interessante Menschen kennenlernen.