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Hausaufgaben: Brauchen wir sie noch?

Sind Hausaufgaben noch notwendig oder längst überholt? Immer mehr Schulen wagen das Experiment, auf Hausaufgaben zu verzichten. Kann das gut gehen? Wissenschaftliche Studien der vergangenen Jahrzehnte konnten kaum positive Effekte auf die Lernleistung durch Hausaufgaben ausmachen. Wir haben dazu Sönke Strand, Lehrer und Unterstufenleiter an der Gemeinschaftsschule Friedrichsort, gefragt.

Wie wichtig bzw. notwendig sind Hausaufgaben?
Wenn ich meine Schülerinnen und Schüler nach der Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben fragen würde, fiele das Urteil recht eindeutig aus: Brauchen wir nicht! Das Paradoxe ist: Wissenschaftliche Studien, die den Nutzen von Hausaufgaben belegen, gibt es tatsächlich kaum. Dennoch muss das Einüben von Lerninhalten natürlich fester Bestandteil des Schulalltags bleiben, um diese zu verinnerlichen. Idealerweise sollte eine eigenständige Lernphase aber so gestaltet sein, dass die Kinder selbst die Motivation aufbringen, sich einer Fragestellung zu widmen. Dies kann entweder in der Schule, in der Nachmittagsbetreuung oder aber zu Hause passieren.

Dieses eigenverantwortliche Lernen müssen Kinder natürlich trainieren. Immer mehr Schulen implementieren solche Lernphasen im Stundenplan – losgelöst von starren Stundenplänen, stattdessen nach selbstgewählten Themen. In einem Pilotversuch habe ich an meiner Schule ein solches Projekt in einer 5. Klasse in Angriff genommen. Da die Rückmeldungen bisher durchgehend positiv sind, möchten wir dieser Art des Lernens zukünftig unbedingt mehr Raum geben. 

Außerdem gibt es in Deutschland immer mehr Ganztagsschulen. Das wirft natürlich die Frage auf, inwiefern Hausaufgaben noch zumutbar sind, wenn die Kinder erst gegen 16 Uhr nach Hause kommen und anschließend noch ein zweistündiges Handballtraining absolvieren müssen. Ich rate den Lehrkräften an solch langen Nachmittagen, auf Hausaufgaben zu verzichten oder über eine längere Phase, zum Beispiel zwei bis drei Tage, zu geben, um zum einen die Kinder (und die Eltern) nicht zu überfordern und zum anderen den Lernenden Selbst- und Zeitmanagement zu vermitteln.

Gibt es bestimmte Routinen beim Erledigen der Hausaufgaben, die sich bewährt haben?
Recht häufig bekomme ich von Eltern die Rückmeldung, dass Hausaufgaben zu streitvollen Auseinandersetzungen führen, die alle Beteiligten nach einem langen Arbeits- oder Schultag an die Grenzen bringen. Manchmal kann die Ursache dafür auch am Setting des Arbeitsplatzes liegen. Nur die wenigsten Kinder arbeiten gern allein in ihrem Zimmer – mal abgesehen von der gegenwärtigen Versuchung, doch lieber Minecraft zu spielen. Häufig kann es sinnvoll sein, die Kinder ihre Hausaufgaben in einer Art Büchereiatmosphäre am Küchentisch anfertigen zu lassen, während die Eltern ebenfalls einfache Dinge am Tisch erledigen, wie Listen schreiben oder Rechnungen überweisen.

Dennoch: Zu einem Großteil hängt es von der Aufgabenstellung ab, ob die Schülerinnen und Schüler die Motivation aufbringen können, sich mit einer Aufgabe zu beschäftigen oder eben nicht. Dabei steht besonders forschendes Lernen im Mittelpunkt. Das bedeutet, dass die Kinder sich selbst Inhalte erarbeiten oder im Unterricht erarbeitete Themen im Alltag umsetzen oder wiederfinden. Wichtig ist, das individuelle Lernniveau des Kindes zu berücksichtigen. 

Wie haben Sie als Kind Ihre Hausaufgaben ­gemacht?
Ich habe meine Hausaufgaben meistens gemeinsam mit meinen Geschwistern am Küchentisch erledigt. Mir sind die Hausaufgaben immer dann besonders leicht gefallen, wenn ich nicht durch die Angst vor schlechten Noten motiviert war, sondern mich der Inhalt interessierte. Leider folgte der Unterricht damals noch häufig dem klassischen Schema: morgens Wissensvermittlung, nachmittags Wiederholen/Üben.

Diese Aufteilung hat sich heute durch das verbreitete Angebot der Ganztagsschulen jedoch glücklicherweise wieder verändert. Lern- und Übungszeit findet durch die Nachmittagsbetreuung wieder mehr innerhalb der Schule statt. Ebenfalls haben Kinder, die zuweilen mehr Zeit benötigen, um Lernstoff zu erarbeiten oder zu verinnerlichen, im Ganztagsbereich die Möglichkeit, dies unter professioneller Anleitung zu tun. An meiner Schule haben wir dafür im Ganztagsbereich die Arbeitsgemeinschaft (AG) Studierzeit. Diese wird unheimlich stark nachgefragt. 

Sehen Sie im Schulalltag schon Hausaufgaben, die mit künstlicher Intelligenz (KI) angefertigt wurden?
Natürlich sind mir schon Hausaufgaben begegnet, die mit künstlicher Intelligenz angefertigt wurden. KI als Bedrohung zu verteufeln kann aber nicht die Lösung sein. Vielmehr müssen wir uns Tools wie ChatGPT zu Nutze machen und es als weiteres Werkzeug annehmen, das beispielsweise für Kinder mit einer ausgeprägten Legasthenie hilfreich sein kann. 

Darüber hinaus stellt KI weitere Anforderungen an uns Lehrkräfte und die von uns formulierten Arbeitsaufträge. Wir müssen darauf abzielen, den Schwerpunkt vielmehr auf den Lernprozess als auf das bloße Produkt bzw. die richtige Lösung zu legen und projektorientierte Lernformen in den Mittelpunkt rücken. Ich bin überzeugt davon, dass sich auch die Hausaufgaben im Laufe der Zeit verändern und sich eben auch an die neuen Entwicklungen anpassen müssen. 

Sönke Strand, Unterstufenleiter an der
Gemeinschaftsschule mit Oberstufe
Friedrichsort (IGF), 43 Jahre alt, wohnt
mit seiner Familie in Strande.

 

Foto: Westend61 / photocase.de, Linda Schmidt (Portrait)