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Pflegeelternschaft – was bedeutet das eigentlich?

Eine Familie erzählt aus ihrem Leben – das Interview führte Viktoria Kovaleva

Laut der Auswertung des Statistischen Bundesamtes wuchsen 2022 rund 86.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland zumindest zeitweilig in Pflegefamilien auf. Für viele Kinder kann dies eine große Hilfestellung in ihrem Leben bedeuten. Doch diese Möglichkeit ist nicht selbstverständlich, engagierte Pflegeeltern werden nach wie vor dringend gesucht. Wir wollten uns den Alltag einer Pflegefamilie genauer anschauen und haben Jennifer und Malte gebeten, uns ihre Geschichte zu erzählen.

Jennifer Sandner-Kamps (39) und Malte Kamps (43) sind beide Lehrer und leben heute mit ihren zwei leiblichen Töchtern Greta (9), Lena (3) und ihrem Pflegesohn Tom (6) in Kiel. Die Namen aller Kinder wurden für den Artikel verändert.

Wann kam es zu der Entscheidung, Pflege­eltern zu werden? 

Jennifer: Wir hatten schon immer den Wunsch nach einer großen Familie mit mindestens zwei Kindern. Nicht lange nach der Geburt unserer ältesten Tochter war ich mit einem kleinen Jungen schwanger, den wir leider verloren haben. Nach diesem Schicksalsschlag hatten wir überlegt, dass es ja nicht unbedingt ein leibliches Kind sein muss. Von Adoptivkindern hat man schon öfter gehört, weshalb das zunächst unser erster Gedanke gewesen ist.

Wie ging es dann weiter?

Jennifer: Am Anfang haben wir recherchiert, was die Stadt Kiel anbietet und sind schnell auf die Bezeichnung „Pflegekinder“ und „Adoptionsvermittlung“ gestoßen, wobei wir bis dato zu dem Begriff „Pflegekind“ noch keine genaue Vorstellung hatten. Also haben wir auch dazu viel im Internet gelesen. Schließlich hat es sich ergeben, dass es zu dem Zeitpunkt einen Infoabend des Pflegekinderdienstes im KulturForum Kiel gab, den ich besuchte. Dort hat eine Pflegefamilie über ihre Erfahrungen berichtet, was sehr hilfreich für mich war. Am Ende ging ich relativ beschwingt nach Hause und meinte zu meinem Mann: „Das ist was für uns, das kann ich mir gut vorstellen!“

Danach riefen wir mit allerhand Fragen im Pflegekinderdienst an, wo sich für uns viel Zeit genommen wurde, und machten einen Termin für einen Hausbesuch ab, damit unsere Räumlichkeiten und alles Weitere geprüft werden konnten.

Gab es spezielle Vorbereitungen auf die ­Pflegeelternschaft?

Jennifer: Nachdem die formellen Anforderungen, wie die Hausprüfung, Begründung der eigenen Motivationen oder ein Führungszeugnis geklärt waren, gab es für alle zukünftigen Pflegeeltern ein mehrtägiges Seminar. Dort konnten wir uns auch mit anderen Pflegeeltern austauschen. Mit dem Abschluss des Seminars waren wir schließlich geprüfte Pflegeeltern. 

Wie lange hat der ganze Prozess ungefähr gedauert?

Jennifer: Bei uns dauerte es insgesamt eineinhalb Jahre, nach dem Seminar also noch zwei bis drei Monate, bis der Anruf kam und uns gesagt wurde, es gibt da ein Baby, zu dem wir gut passen würden. Wir bekamen seinen Stichtag genannt und kurze Zeit später kam plötzlich ein weiterer Anruf, dass er doch schon früher zur Welt gekommen sei. So haben wir Tom kennengelernt.

Malte: Ich denke aber auch, es kommt immer ganz darauf an, wie sehr man die Suche durch die eigenen Wünsche einschränkt. Es kann also auch schneller oder länger als bei uns dauern.

Jennifer: Genau, man kann angeben, was man sich zutraut, ob man beispielsweise ein Kind mit Behinderung oder weiteren Einschränkungen und Besonderheiten aufnehmen möchte. Aber uns wurde auch schnell verdeutlicht, dass man nicht etwa bei „Wünsch-dir-was“ ist. Kinder sind Menschen und manchmal weiß man einfach nicht, wie sie sich entwickeln werden, wie es auch bei den leiblichen Kindern der Fall ist, und ich finde, das darf man nicht vergessen. Und was ich ebenfalls wirklich gut fand, war die Haltung, wir suchen nicht Kinder für die Pflegeeltern, sondern andersherum, wir suchen Pflegeeltern für die Kinder.

Wieso habt ihr euch am Ende für eine Pflegeelternschaft und gegen eine Adoption entschieden?

Malte: Wir haben damals für beide Möglichkeiten Vorgespräche geführt und es ist so, dass das Jugendamt im Regelfall keine Einblicke in die Familien und die Umstände der Adoptivkinder hat. Bei Pflegeelternschaften hingegen sieht das anders aus. Die Familien der Kinder sind bekannt und in irgendeiner Form im Blick des Pflegekinderdienstes und des Jugendamtes. Man kann also bereits vorher sagen, wo mögliche Schwierigkeiten liegen könnten und worauf man sich einzustellen hat. Dadurch kann viel differenzierter eine Entscheidung getroffen werden, nicht zuletzt, ob man dem Kind und seinen spezifischen Anforderungen auch gerecht wird. Das war uns sehr wichtig.

Und der letzte Faktor war, dass es bei einer Adoption möglicherweise bis zu 10 Jahren gedauert hätte. Damals ging es uns aber wirklich auch darum ein Geschwisterchen für Greta zu haben, weshalb eine so lange Wartezeit für uns nicht infrage kam.

Gibt es besondere Schwierigkeiten,
die ­vorwiegend Pflegefamilien erleben?

Jennifer: Es muss nicht bei jedem alles immer glatt laufen, das sollte man einfach mitbedenken. Da viele der Kinder durch einen richterlichen Beschluss, teilweise entgegen dem Wunsch der leiblichen Eltern, in die Pflegefamilien kommen, kann das selbstverständlich viele Emotionen oder Ungewissheiten für alle Beteiligten mit sich bringen. Deswegen haben wir auch den größten Respekt davor, dass manche Eltern das dennoch schaffen, ihre eigenen Gefühle im Sinne ihres Kindes hintenanzustellen.

Malte: Ja, die leiblichen Eltern durchleben in vielen Fällen letztlich eine Horrorphase. Deswegen ist es, finde ich, ganz wichtig, dem mit viel Geduld und Verständnis zu begegnen. 

Könnt ihr ein wenig von euren Erfahrungen zu Toms Herkunftsfamilie berichten?

Malte: Es ist so geregelt, dass man alle vier Wochen einen Besuchskontakt mit den biologischen Eltern hat. Für uns war die Beziehung zu Toms leiblichen Mutter von Anfang an sehr wichtig, deswegen sind wir auch ganz dankbar, dass es sich mit der Zeit so gut entwickelt hat. Es ist einfach ein Stück erweiterte Familie, die mit dazu gehört. 

Jennifer: Wir vergleichen das immer ein bisschen mit einer Patchwork-Scheidungsfamilie, die leiblichen Kinder können ja auch nicht immer bei beiden Elternteilen gleichzeitig sein, aber sie bekommen von allen Seiten Zuneigung und Liebe. Für Tom ist es ganz normal, dass er so aufwächst. Es war uns immer wichtig, dass er sich nicht so fühlt, als würde er zwischen zwei Stühlen stehen, sondern wir sind Mama und Papa und die leibliche Mama ist Mami, also auch eine Mama. Wir hatten aber auch großes Glück, das ist nicht selbstverständlich und mittlerweile freuen wir uns auf jeden Besuchskontakt.

Malte: Das ist so. Wir gewinnen dadurch, dass es so gut funktioniert und Tom gewinnt damit auch ganz viel. Er kennt seine Wurzeln, er kennt seine leibliche Mutter, er wird sich niemals Fragen stellen müssen „Wo komme ich her? Warum bin ich abgegeben worden?“. Es ist von Anfang an eine klare Situation. Uns ist vor allem wichtig, dass, wenn Tom sich dafür interessiert, wir offen dafür sind, noch jemanden mit hereinzulassen. Die Menschen haben Biografien und das muss auch nicht immer so glücklich laufen wie bei uns, aber dadurch wird es ja nicht weniger wichtig, dass diese Kinder wissen, wo sie herkommen. Und das ist, glaube ich, ein großer Punkt, der vielen, die sich damit beschäftigen, gar nicht so bewusst ist, bei dem man sich aber schon klar sein muss, dass das eine Baustelle sein wird.

Was sind für euch als Pflegeeltern die schönsten Momente?

Malte: Ehrlich gesagt, sind es die gleichen, wie auch die mit unseren leiblichen Kindern, denn es gibt da emotional gar keinen Unterschied. 

Wurdet ihr denn manchmal gesondert nach Unterschieden gefragt? 

Jennifer: Am Anfang wurden wir tatsächlich manchmal gefragt, ob es da vielleicht einen gibt – die Menschen sind einfach neugierig. Aber wir können wirklich guten Gewissens beide sagen, nein, es gibt keinen. Wir lieben unsere drei Kinder alle gleich.

Hättet ihr zum Schluss noch Tipps oder Hinweise für diejenigen, die gerne ein Pflegekind aufnehmen würden?

Jennifer: Also letztlich informieren, gerne zu dem Infoabend kommen, da gar keine Hemmungen haben auch Fragen zu stellen und beim PKD anrufen. Dort sind sehr kompetente und freundliche Mitarbeiter, die sich viel Zeit für einen nehmen. 

Jennifer und Malte, danke für eure Zeit und euer Vertrauen.

Infoabend in Kiel

Für alle, die sich für eine Pflegeelternschaft interessieren, findet am Mittwoch, 24. April um 19 Uhr eine Infoveranstaltung des Pflegekinderdienstes im KulturForum Kiel statt. Auch Malte und Jennifer werden vor Ort über ihre Familie erzählen und Besucherfragen beantworten.