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Was macht eigentlich das Jugendamt?

Kinderkram im Gespräch mit Marion Muerköster, Leiterin des Kieler Jugendamtes

Das Kieler Jugendamt plant, gestaltet und steuert die Landschaft der Kinder- und Jugendhilfe in unserer Stadt. Hand in Hand mit dem Jugendhilfeausschuss und einer Vielzahl und Vielfalt an Akteur*innen prägt das Jugendamt die Strukturen und die Angebote für Kinder, Jugendliche und ihre Familien. In allen und ganz besonders in herausfordernden Lebenssituationen bietet das Jugendamt Hilfe und Unterstützung an und stellt umfangreiche Leistungen zur Verfügung. Hier einige Beispiele:

> Zu den wichtigsten und bekanntesten Aufgaben zählt die Garantenstellung im Bereich Kindeswohl. Das heißt: Schutz und sicheres Aufwachsen für alle in Kiel lebenden jungen Menschen zu ermöglichen, ist das oberste Gebot. Die Mitarbeiter*innen in den Sozialzentren des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) sind in Punkto Schutzauftrag spezialisiert und über einen Krisendienst 24/7 erreichbar. 

> Die städtischen Kinder- und Jugendhilfedienste bieten Erziehungsberatung und ambulante Familienhilfe und begleiten und betreuen Kinder, die in Pflegefamilien und in stationären Einrichtungen leben.

> Bei Bedarf unterstützt das Jugendamt im Rahmen von Beistandschaften und Vormundschaften Kinder bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Dazu zählt auch die Sicherung von Unterhaltsansprüchen.

> Für werdende und junge Eltern ist oftmals die Beratung rund um Tagesbetreuung von entscheidender Bedeutung. Das Jugendamt erhebt stadtweit die Platzbedarfe und steht seit Jahren für den konsequenten Ausbau im Bereich der Kitaplätze. 

> Sozialarbeit an und mit Schule stärkt und stützt Bildungs- und Teilhabechancen und schafft Ausgleiche. 

> Öffentlichkeitswirksam macht das Jugendamt regelmäßig auf die besonderen Rechte und Bedürfnisse von Kindern aufmerksam – zum Beispiel auf dem Platz der Kinderrechte an der Hörn, mit Aktionen gegen Kinderarmut und durch Kinospots. 

Die Aufgaben und Befugnisse der Kinder- und Jugendhilfe werden über das Achte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) sowie in weiteren Bundes- und Landesgesetzen geregelt. Das Handeln im Jugendamt ist inklusiv, präventiv und sozialräumlich ausgerichtet. Um die vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, arbeitet das Jugendamt eng und kooperativ mit freien Träger*innen zusammen, so wird eine noch größere Angebotsauswahl sichergestellt.

Im Kieler Jugendamt sind aktuell 700 Personen tätig, familienfreundliche Teilzeitmodelle werden ermöglicht. Die Kieler Jugendamtsleiterin Marion Muerköster gibt Einblicke in aktuelle Themen und Trends.

Was sind die wichtigsten Anliegen der Familien, die an Sie herangetragen werden? 

Für uns gibt es keine Unterteilung in wichtige oder unwichtige Anliegen. Die Bedarfe der Menschen, die sich bei uns melden, sind höchst unterschiedlich. Manchmal geht es um eine fehlende Information und das Problem ist gelöst. Mitunter wird eine sofortige Krisenintervention nötig. Die Sekretärinnen im Vorzimmer der Amtsleitung beantworten am häufigsten Anliegen zum Unterhalt oder zum Sorgerecht. Sorgen um das Wohl eines Kindes stehen auch im Zentrum der Anfragen. Die meisten Bürger*innen rufen an oder senden eine Mail. 

Wen möchten Sie erreichen? 

Das Jugendamt ist für Belange aller Kinder und Jugendlichen zuständig – von der Geburt bis zum 21. Lebensjahr und teilweise darüber hinaus bis zum 27. Lebensjahr. Wir wünschen uns, dass sich jede Person, die für Kinder verantwortlich ist – oder die sich verantwortlich fühlt – bei Bedarf bei uns meldet. Besonders durch unsere Kampag­nen wollen wir einen Beitrag leisten, dass jeder junge Mensch in seinem Umfeld eine Ansprechperson findet, der sie*er vertrauen kann. Das können Nachbar*innen, Schul­sozialarbeiter*innen oder auch Psycho­log*innen in der Erziehungsberatung sein. Sich mitzuteilen, ist für junge Menschen und für Eltern der erste Schritt in Richtung Lösung – und das unabhängig von persönlichen Voraussetzungen.

Wie viele Familien betreuen Sie ungefähr im Jahr?

Durch die Aufgabenvielfalt und die unterschiedlichen Betreuungs- und Beratungszusammenhänge ist die Frage nicht leicht zu beantworten. Diese Zahlen liefern exemplarische Einblicke:

1.350 Familien haben sich im Jahr 2022 von der Erziehungsberatung der Landeshauptstadt Kiel beraten lassen. Zumeist stellen Eltern den ersten Kontakt her. Selbstverständlich haben auch Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich direkt Rat und Hilfe zu holen und auch junge Volljährige können sich jederzeit an die Erziehungsberatungsstellen wenden. 

Eine wichtige Form der Unterstützung von Familien ist die sozialpädagogische Familienhilfe. Rund 500 Kieler Familien werden jährlich von Familienhelfer*innen ambulant, individuell und lösungsorientiert begleitet. 

Mitunter kommt es zu Situationen, in denen es zuhause nicht mehr weitergeht. Dann ist vorübergehend oder dauerhaft eine Trennung der einzig mögliche Weg. Rund 420 Kinder und Jugendliche wurden im Jahre 2022 in einer akuten Notlage vom Kieler Jugendamt in Obhut genommen. Rund 450 Kinder und Jugendliche leben momentan in einer Pflegefamilie oder in einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. 

Besonders stolz sind wir, dass es seit vielen Jahren gelingt, Familien über eine große und kreative Vielfalt an präventiven Hilfen zu erreichen. Frühzeitiges Erkennen von Bedarfen führt dazu, dass die Probleme nicht wachsen. Niedrigschwellige Angebote, wie die Frühen Hilfen, schaffen Vertrauen und weisen praktische Wege.

Welche Themen beschäftigen das Jugendamt aktuell?

Da gibt es eine ganze Reihe an Themen. Alle zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Um nur einige aktuelle Herausforderungen zu nennen hier Fragen, die uns gerade beschäftigen:

> Wie gelingt der große Wurf der Inklusion?

> Womit begegnen wir dem Fachkräftemangel?

> Wie schaffen wir es, Menschen für die wertvolle Aufgabe zu begeistern, Pflegeeltern zu werden?

> Wie kommen wir an finanzielle Mittel, um im Bereich Bildung und Teilhabe auch in der Zukunft herausfordernde Lebensbedingungen mit vereinten Kräften zu begegnen?

> Wie können wir den weiteren Ausbau von Kitaplätzen, Jugendzentren oder Heimeinrichtungen verwirklichen?

> Wie gelingt es uns auch weiterhin, junge Menschen und Familien mit Fluchtbiografie mit den notwendigen Ressourcen gut zu begleiten?

An all diesen und an vielen weiteren Themen wird engagiert und mit vereinten Kräften im Jugendamt gearbeitet.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Zeit vor 2020 und jetzt? Was hat sich gegebenenfalls verändert?

Gemeint ist mit der Frage vermutlich die Pandemie. Corona hat Bedarfe zunächst verdeckt, dann verschärft und nun schrittweise sichtbar gemacht. Ausgezahlt hat sich, dass wir weder die Unterstützungsmaßnahmen in Familien noch die Hilfen an Regeleinrichtungen (Kita und Schulen) unterbrochen haben. Das hat stabilisiert. 

Eine Feststellung, die wir gemacht haben: Aufgrund der zahlreichen Einschränkungen während der Pandemie hatten viele Kinder und Jugendliche deutlich weniger Austausch und konnten teilweise auch weniger wichtige Erfahrungen in Kita, Schule oder anderen sozialen Gruppen sammeln, die für die Entwicklung wichtig sind. Der Zugang zu therapeutischer Förderung, wie zur Logopädie, war in der Pandemiezeit erschwert; Nachholbedarfe sind jetzt sichtbar und lassen sich zum Beispiel auch an einer gestiegenen Nachfrage an Schulbegleitungen festmachen. Es gibt aber auch vorteilhafte Entwicklungen. Durchaus positiv war zum Beispiel der Digitalisierungsschub. Das Nutzen der Medien als ein Tool – als eine Möglichkeit verlässlich im Kontakt zu sein – ist viel selbstverständlicher geworden.

Wie sieht es mit langfristigen Entwicklungen aus?

Über die Jahrzehnte lässt sich feststellen, dass eine Vielzahl neuer Standards und pädagogischer Haltungen zu qualitativen Verbesserungen geführt hat. Unter anderem wurden Rechte der Kinder und Jugendlichen in Richtung Mitsprache und Beteiligung gestärkt; der Inklusionsgedanke hat zu einem systemischen Umbau und Umdenken geführt. Die Kompetenz im Bereich Kulturmittlung bei Migration ist mit den Herausforderungen gewachsen. In Anbetracht der knapper werdenden personellen und finanziellen Ressourcen gilt es, diese Errungenschaften zu erhalten. Kinder und Familien haben sich nicht an Systeme anzupassen; sondern Systeme müssen den Menschen dienen.

Was für Pläne und Wünsche gibt es für die Zukunft?

Da gibt es eine ganze Reihe. Die konsequente Umsetzung der Inklusion gehört unbedingt dazu. Wichtig sind auch gelingende und gut gestaltete Übergänge, ausreichendes und gut qualifiziertes Personal und ein gesellschaftlich fest verankertes Bewusstsein für die besondere Bedeutung der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder sind unsere Zukunft. Dafür braucht es eine Lobby und ausreichend finanzielle Mittel, insbesondere eine groß angelegte Fachkräftestrategie für alle Arbeitsbereiche der Jugendhilfe. Unsere Mitarbeiter*innen und unsere Kooperationspartnerschaften sind die Garanten für Vielfalt. Gemeinsam gilt es, auch weiterhin Familien zur Seite zu stehen. Denn eine tragfähige Kinder- und Jugendhilfe verhindert Folgekosten für die Gesellschaft!

Foto: Lh Kiel Kiel / Bodo Quante