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Kindliche Entwicklung und Bildschirmmedien

Über Mediennutzung im Kindesalter wird vieles berichtet. Kinderarzt Dr. Rüdiger Penthin hat in seiner Praxis oft erlebt, wie die häufige Nutzung von Bildschirmmedien die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt. Wir haben ihn gefragt, was Eltern bei der Mediennutzung beachten sollten.

Dr. Rüdiger Penthin ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Psychotherapie in Schönberg sowie Autor mehrerer Bücher zum Thema Eltern und Kinder.

Was weiß man darüber, in welchem Maß der Konsum von Bildschirmmedien die kindliche Entwicklung beeinflusst?

Experimentelle Untersuchungen an Erwachsenen haben schon vor langer Zeit gezeigt, dass das Ansehen von Filmen mit aggressiven und brutalen Inhalten nach dem Ansehen zu einer Minderung der Hilfsbereitschaft und zu gewisser Gefühlsabstumpfung führt. Wenn Kinder solche Inhalte oft konsumieren, so muss man von ähnlichen Effekten ausgehen. Experimentelle Untersuchungen an Grundschulkindern zeigten, dass das Vorhandensein einer Spielekonsole im Haushalt schon nach drei Monaten die schulischen Leistungen im Lesen und Schreiben verschlechtert. Das wird wahrscheinlich dadurch hervorgerufen, dass sich die Kinder weniger mit Lesen und Schreiben beschäftigen. Längsschnittuntersuchungen zeigten, dass mit steigender TV-Nutzung die Konzentrationsfähigkeit bei schulischen Anforderungen im Laufe der Zeit immer schlechter wird. Die Nutzung sozialer Medien ist für Kinder und Jugendliche ein starker Stressfaktor, der viele junge Menschen unglücklich macht.

Natürlich können Medien auch sinnvoll sein. Das ist aber im Wesentlichen abhängig von der Zeit, die Kinder und Jugendliche damit verbringen und von den Inhalten. Aufregende, ängstigende Inhalte führen bei langandauerndem Konsum zu Abstumpfung und eventuell zur Nachahmung. Sie führen dazu, dass sich Kinder auch in der Schule, bei den Hausaufgaben oder abends im Bett gedanklich und emotional mit den Inhalten beschäftigen. Das kann zu Ängsten, Depressionen, Aggressionen und Konzen­trationsstörungen führen sowie zu schulischen Schwierigkeiten mit den nachteiligen Folgen für das ganze Leben!

Wie kann man sein Kind vor solchen Entwicklungen schützen?

Man sollte Bildschirmzeiten (TV, Video, PC, Tablet, Spiele-Konsolen, Smartphone … zusammen genommen!) begrenzen. Unter 4 Jahren sollten Kinder gar keine Bildschirmmedien nutzen. Das bedeutet auch, dass Eltern den Fernseher nicht einfach laufen lassen sollten. Im Alter von 5 bis 6 Jahren sollten es maximal 30 Minuten am Tag sein, im Grundschulalter maximal 60 Minuten, ab 12 Jahren maximal 2 Stunden.
Eltern sollten ungedingt die gezeigten Inhalte kontrollieren: keine Gewalt, keine Action, keine Pornos. Am besten schauen sie sich Filme, Youtube-Videos etc. gemeinsam mit ihren Kinder an und reden anschließend darüber. Man kann auch Sperren für Inhalte ohne passende Altersfreigabe installieren.

Bildschirmmedien sollten nicht als Babysitter genutzt werden. Wer doch einmal auf ein Video zurückgreifen möchte, sollte eines mit überschaubarer Länge und kindgerechten Inhalten auswählen. Es kann auch immer wieder der bekannte Klassiker sein, denn Kinder mögen es, geliebte Filme immer wieder anzusehen.

Was kann im Alltag helfen, Bildschirmzeiten zu begrenzen?

Elten sollten ein Vorbild sein und auch auf ihre eigene Bildschirmzeit achten. Kinder machen elterliches Verhalten schnell nach. Wenn sich Eltern im Beisein ihrer Kinder viel mit dem Handy beschäftigen und dadurch dem Kind immer wieder Beachtung entziehen, ist das nicht nur ein schlechtes Vorbild, sondern die Kinder (auch schon Babys) fühlen sich nicht genug wertgeschätzt und entwickeln auffälliges, manchmal auch aggressives Verhalten, um wieder auf sich aufmerksam zu machen.

Im Alltag sollten nach der Schule zunächst die Hausaufgaben und die Pflichten im Haushalt erledigt werden. Anschließend können die Kinder die Medien im Rahmen der obengenannten Zeiten und Inhalte nutzen. Das Vorenthalten von Medien als Sanktion sollte – wenn überhaupt – nur für den gleichen Tag erfolgen, damit die Kinder Tag für Tag wieder eine neue Chance bekommen. Man kann mit seinem Kind Alternativen zur Bildschirmbeschäftigung finden: Gesellschaftsspiele, Kartenspiele, Vorlesen, Helfen im Haushalt, gemeinsame Gespräche, Fahrrad fahren, gemeinsame Spaziergänge … was den Eltern früher Spaß gemacht hat, kann auch gemeinsam unternommen werden.

Es ist es wichtig, Kinder im Miteinander zu begleiten, dass sie lernen miteinander zu reden, zu spielen, sich zu helfen, zu sagen was man möchte, aber auch zuzuhören und anderen mal den Vortritt zu lassen, sich körperlich zu bewegen und Geschicklichkeit zu üben. Kinder brauchen Anleitung, sie lieben es, wenn Erwachsene ihnen etwas zeigen, das sie nachmachen können. Kinder lieben es auch im sozialen Lernen „an die Hand genommen zu werden“.

Warum ist Ihnen der Medienkonsum in Bezug auf die gesunde Entwicklung von Kindern so wichtig?

Wir Menschen sind gerade in den ersten beiden Lebensjahrzehnten auf Lernen eingestellt, das gelingt später nie mehr so leicht. Und diese für unsere Gehirnentwicklung so wichtige Lebenszeit mit „daddeln“ oder „zocken“ zu vertun, ist Verschwendung von sehr viel Potential! Das Leben ist viel breiter und reichhaltiger in der analogen Welt, oft natürlich auch anstrengender. Das verführt zur digitalen Welt mit einem hohen Sucht­risiko. Vom „Dauerdaddeln“ wird man aber kein IT-Spezialist oder Software-Entwickler.

Foto: Chinnapong