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Bleibt alles anders

Meine älteste Tochter wird mich verlassen. Mein Pancake, mein Krümelchen, mein Pummeluff, meine Motte. Das Kind, für das ich am meisten Spitznamen habe, weil ich einfach nicht fassen konnte, dass es sie gibt. Das Kind, wegen dem es meine anderen drei auch gibt. Denn so viel Realismus hat man als vierfacher Vater: Wenn das alles mit meiner Großen sehr viel anstrengender gewesen wäre, hätten wir maximal noch ein zweites Kind bekommen – wenn überhaupt. Aber es war und ist vor allem großartig. Sicher hatte das damals auch etwas damit zu tun, dass man Mitte Zwanzig war und die tatsächlich doch sehr zahlreichen anstrengenden Aspekte ganz gut weggesteckt hat. Die Lebenskomplizin und ich haben uns den Weg zum Schlafzimmer mit Klebestreifen markiert, damit unsere Kleine nicht von knarrenden Dielen aufwacht. War sie doch wach, bin ich mit ihr im Tragetuch nachts um 3 Uhr durch Kreuzberg spaziert. Und dass sie zu faul war, Brei vom Löffel zu essen, werde ich ihr nie verzeihen. Na gut, vielleicht doch. Denn sie hat es uns auch so unendlich leicht gemacht. In der ersten Nacht schlief sie zwischen unseren Köpfen und wollte außer gestillt werden nicht viel. Wir konnten sie überall hin mitnehmen. Ins Restaurant. Auf eine Party. Zu einer Hochzeitsfeier in Brüssel. Auf das Forum Romanum, wo wir feststellen mussten, dass die alten Römer überraschenderweise nicht für Leute mit Kinderwagen geplant hatten. Meine Tochter war immer dabei. Schwatzte, kicherte und tobte sich zuerst allein durch unser Leben und zeigte später ihrem Bruder wie man das macht.

Und nun wird sie ihrer eigenen Wege gehen. Die letzte Abiturprüfung liegt hinter ihr, das bisschen Rest an Schule bis zur Zeugnisvergabe muss nur noch rumgekriegt werden und dann war es das. Es ist das Ende einer Ära, in der wir zu sechst miteinander unter einem Dach existiert haben. Keine Küchengespräche mehr nachts um 1 Uhr, weil sie nicht schlafen kann und ich noch arbeiten muss. Ihre beiden kleinen Geschwister werden keine Backsessions mehr am Wochenende mit ihr veranstalten. Und mein Großer wird sie nicht mehr durchgehend in seiner Ecke haben, um sich uns ignorante, verknöcherte Eltern vom Leib zu halten. Das wird nicht einfach. Selbstverständlich ist sie immer noch meine Tochter. Mein erstes kleines Mädchen. Mein Pancake, mein Krümelchen, mein Pummeluff, meine Motte. Aber Begegnung und Nähe werden sich nicht länger von selbst oder zufällig ergeben. Wir werden sie organisieren und dafür kämpfen müssen.

Andererseits war immer alles im Fluss: Umzüge, Schulwechsel, Familienzuwachs, Jobwechsel. Als wir sie bekamen, haben wir noch studiert und waren so pleite, dass wir uns mit dem Restaurieren und Weiterverkaufen von Möbeln über Wasser halten mussten. Heute hilft sie mir, eine Fenstersitzbank zu schreinern. Ja, auch 17 ¾ Jährige haben noch Pläne für ihr Zimmer und ich werde den Teufel tun und mich dagegen stemmen. Nicht weil ich sie halten will. Auch wenn ich jammere, klage und bereits damit anfange, sie vorausschauend zu vermissen – das ist es nicht. Ich will einfach weiter meine Beziehung mit ihr gestalten. Ich will keinen Abbruch, sondern einen Umbruch. Ich will nicht zurück-, sondern umdenken. Denn jetzt beginnt die Zeit, in der ihre kleinen Geschwister sie besuchen können, wenn ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Jetzt beginnt die Zeit all der Pläne mit ihrem Bruder, wo man wie sie studieren oder womöglich sogar gemeinsam in einer WG wohnen könnte, weil „so lange ist das jetzt auch nicht mehr“. Seufz. Hurra. Seufzhurra. Alles bleibt anders beim Alten im Neuen. Ich muss ihr ein Rezeptbuch fertig machen, damit sie in der Fremde (seufz) all ihre Lieblingsgerichte von Papa (hurra) essen kann. Ich kann auch davon ausgehen, dass ich darüber informiert werde, wo sie wohnt, denn irgendwohin muss ich ja die monatliche Pesto-Ration schicken, auf die wir uns geeinigt haben. Die könnte sie auch selbst machen (hurra), ist aber „viel zu teuer, Papa“ (seufz).

Also wie, was und wo auch immer es wird – immerhin gibt es gutes Pesto!

Foto: Mc Stock

Nils Pickert
Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­Feminist. Jeden Monat lässt er uns in seiner Kolumne an seiner Gedankenwelt teilhaben.