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Väterkram: Die Geburtshilfe braucht Hilfe

Meine beiden jüngsten Kinder sind echte Laboer. Wobei wir sie nicht so bezeichnen, da der Begriff schon für Familien besetzt ist, die seit mindestens vier Generationen im Ort leben und oder Arp heißen. Deswegen bezeichnen meine Lebenskomplizin und ich sie in Anlehnung an die Puccini-Oper La Bohème als Laboehème. Das passt insofern ganz gut, als dass die beiden tatsächlich in Laboe geboren wurden. Ein Umstand, der praktisch nie vorkommt wie uns die nette Mitarbeiterin vom kleinen Bürgeramt in Laboe versicherte. Laboe hat kein Krankenhaus und meine Lebenskomplizin fühlt sich grundsätzlich mit Hausgeburten am wohlsten. Da sie unsere jüngste Tochter alterstechnisch knapp vor der Einschätzung als Risikoschwangerschaft zur Welt gebracht hat, war das 2016 noch möglich. Allerdings bezieht sich das „noch“ nicht nur darauf, dass man ihr heute mit über 40 aus guten Gründen nicht mehr zu einer Hausgeburt raten würde. Oder darauf, dass ich nach der Geburt meiner Tochter mit einer Vasektomie meine Familienplanung abgeschlossen habe. Unsere damals freie Entscheidung, die Kinder zu Hause zu bekommen wäre heute so kaum noch möglich – ganz unabhängig davon wie jung wir wären oder wie wenig risikoreich die Schwangerschaft verläuft.

Es steht nicht gut um die Geburtshilfe in Deutschland. Immer mehr Kreißsäle müssen wegen Personalmangel und zu hoher Kosten abgemeldet werden. Zum Beispiel der Kreißsaal im Krankenhaus Preetz, für den wir uns entschieden hatten, falls eine der Hausgeburten hätte abgebrochen werden müssen. Seit Sommer 2022 ist er geschlossen. Und auch die Situation für freie Hebammen, die Geburtshilfe anbieten, ist nicht gerade entspannt. Zwar gelingt es dem Deutschen Hebammenverband regelmäßig auch in schwieriger Ausgangslage den Versicherungsschutz für freiberufliche Hebammen auszuhandeln, aber die Summen steigen jährlich. Die Haftpflichtprämien für Geburtshilfe haben sich seit 2015 mehr als verdoppelt und liegen momentan bei über 12.000 €. Tendenz steigend. Auch wenn es 2023 mit 18652 so viele freiberufliche Hebammen wie noch nie gab, bietet nur jede 4. Geburtshilfe an, weil außerklinische Geburtshilfe immer mehr verunmöglicht wird. Was die innerklinische Geburtshilfe angeht, nun ja: Seit 1991 wurden 40% aller Geburtsstationen in Deutschland geschlossen. Und seit unter Rot-Grün 2004 die Fallpauschale eingeführt wurde, muss sich im Gesundheitswesen alles rechnen. Auch und gerade der Umgang und die Versorgung von Menschen. So kommt es dann auch zustande, dass Krankenhäuser finanziell dafür bestraft werden, wenn sie das medizinisch Notwendige tun, um Frühgeburten zu verhindern. Einfach weil die technisch aufwändige spezielle Behandlung von Frühchen mehr Geld bringt.

„Ich weiß, dass Kinder aus ökonomischen Gründen früher auf die Welt geholt werden,“ sagt der Leiter der Frühgeborenenmedizin am Uniklinikum Tübingen. Das ist ein Satz, den man als angehende Eltern wirklich nicht hören will.

An Leben sollte kein Preisschild gehängt werden. Geburten sollten nicht eingepreist werden. Selbstverständlich kosten sie Geld. Geburtshilfe muss fair bezahlt und ausreichend versichert sein. Aber wenn damit Gewinn erzielt werden muss, wenn es „sich rechnen soll“, dann verlieren zuerst die Betroffenen und am Ende wir alle. Dass Menschen sich gut ernähren und sauberes Wasser trinken können, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und medizinisch versorgt werden, ist von einer Gemeinschaftsaufgabe zu einem profitablen Wirtschaftszweig umgedeutet worden. Deshalb braucht die Geburtshilfe unsere Hilfe. Ein Kind unter sicheren, möglichst selbstbestimmten und freundlichen Umständen gebären zu können, sollte kein Privileg, sondern eine Selbstverständlichkeit sein. Eine Selbstverständlichkeit für die wir nur alle gemeinsam sorgen können, indem wir den politischen Willen formulieren, es nachhaltig besser hinzubekommen.

Foto: Ratchat

Nils Pickert
Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­Feminist. Jeden Monat lässt er uns in seiner Kolumne an seiner Gedankenwelt teilhaben.