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Rasend schnell lernen

„So etwas hätte ich als Kind auch gerne gehabt!“ Ich stehe mit meiner Lebenskomplizin im Türrahmen und beobachte wie mein neunjähriger Sohn auf seinem Hoverboardschlitten rasendschnell vor unserem Haus herumkachelt. Ich muss das kurz erklären: Ein Hoverboard ist so ein Ding, auf das man sich stellt und das losfährt, wenn man entsprechend das Gewicht verlagert. Man kann damit sogar rückwärtsfahren oder Pirouetten drehen. Der Begriff ist eine Reminiszenz an das schwebende Skateboard, das Marty McFly in Zurück in die Zukunft benutzt hat. Ganz so cool ist das Hoverboard meines Sohnes natürlich nicht. Aber dafür lässt sich eine Art Schlitten draufmontieren. Auf dem nimmt er dann Platz und statt mit den Füßen das Gewicht zu verlagern, betätigt er zwei Hebel, die entsprechend Druck auf die Stehfläche abgeben. Mit anderen Worten: Er rast mit einem Affenzahn auf einem dreirädrigen kleinen Streitwagen durch die Nachbarschaft, probiert irgendwelche Tricks und Kunststücke und lacht vor Begeisterung immer wieder laut auf. Wie gesagt: So etwas hätte ich als Kind auch gerne gehabt. Es sieht nach dieser interessanten Mischung aus Geschwindigkeit und Gefahr aus, die so richtig Spaß macht und bei der ich normalerweise immer wegschauen muss, weil ich bei uns der eher ängstliche Elternteil bin. Hier allerdings nicht. Hier probiere ich ein paar Tage später aus, wie es sich anfühlt, mit dem Ding zum Bäcker zu fahren. Es ist eine Mischung aus Hurra! und Ächz! Hurra, weil das Teil losschießt und auf die kleinsten Berührungen reagiert. Ächz, weil ich mit Mitte 40 ungepolstert nahe am Boden sitzend jeden Hubbel spüre. Also gut, vielleicht mehr Ächz als Hurra. Trotzdem richtig gut. Insbesondere für meinen Sohn.

Das Beste daran ist aber nicht, wie viel Spaß er damit hat. Das Beste ist, dass er schließlich damit beginnt, seinen Freundinnen und Freunden aus der Nachbarschaft beizubringen wie man das Teil fährt – stehend und als Streitwagen. Bis schließlich vier Kinder die „Ist ja bald Weihnachten“ Gelegenheit dazu nutzen, sich auch Hoverboards zu wünschen (dafür noch mal Entschuldigung an die entsprechenden Eltern). Die sind zwar neu deutlich zu teuer, aber gebraucht einigermaßen bezahlbar. Zwischen den Jahren stehe ich im Türrahmen und sehe mir das Kuddelmuddel von Kindern an, die sich alle gegenseitig irgendwie irgendetwas beibringen – und es ist großartig. Mein Sohn zeigt seinem besten Freund wie man mit dem Vorderrad in der Luft fährt. Wenig später zeigt der der Nachbarstochter wie man im Stehen das Gleichgewicht hält. 

Ein paar Tage später, als meine jüngste Tochter sich auch so eins organisiert hat, fährt sie vorsichtig Hand in Hand mit der Nachbarstochter auf und ab. Bis meine Jüngste es drauf hat und wiederum ein paar Tage später einer Freundin zeigt wie es geht. Das hätte ich so niemals hinbekommen. Mal ganz abgesehen davon, dass meine Glieder dafür womöglich schon ein bisschen zu steif sind und mein Gleichgewichtssinn nicht mehr ganz so gut, haben Kinder eine ganz eigene Art, einander zu unterrichten. Sie reden und erklären zum Beispiel sehr viel weniger dabei, sondern zeigen eher durch Vormachen wie es geht. Wie ein Kind es macht. Das klappt sogar, wenn das unterrichtende Kind ein bisschen älter ist. 

Vor ein paar Jahren hat mein ältester Sohn seiner jüngeren Schwester während der Pandemie das Radfahren beigebracht. Er hat es ihr immer wieder vorgemacht und nur wenig dazu gesagt: „Halt den Lenker gerade, guck nach vorne, tritt in die Pedalen als wärst du ein Flugzeug beim Starten.“ Eine halbe Stunde später konnte sie es. „Was ist mit Bremsen?“ fragte ich damals meinen Sohn. „Nicht so wichtig“, antwortete er. „Das kommt von alleine.“ Kam es tatsächlich. Ich hätte das natürlich ganz anders gemacht. Mit ganz viel Erklärungen und Safety First, Doppelhelmcheck und „Nicht so schnell!“ Aber ich bin froh, dass ich es nicht getan habe. Jetzt kann meine Kleine radfahren und wir haben eine Streitwagenbande in der Nachbarschaft. Und mein Platz ist im Türrahmen.

Foto: kazatin / istock.com

Nils Pickert
Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­Feminist. Jeden Monat lässt er uns in seiner Kolumne an seiner Gedankenwelt teilhaben.