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Elternkita

Als es mit Corona richtig losging, hat die Kita meiner beiden jüngsten Kinder ziemlich schnell reagiert. Wenn nicht gerade das ganze Land in Lockdowns hing, wurde der Elternpublikumsverkehr größtenteils unterbunden, die Kinder über eine Seitentür in das Gebäude geschleust und Kontakte so auf ein Minimum reduziert.

Wir hatten Glück, dass wir die Eingewöhnung zeitlich vor dem ersten Osterlockdown gerade noch so hinbekommen haben. Eine Woche lang saß ich auf einem winzigen Stuhl an der Snackbar im Kitaflur und beantwortete die Fragen vorbeistromernder Kinder, weil mich meine eigenen glücklicherweise nicht sonderlich brauchten. Nur ab und zu schauten sie um eine Ecke, sagten „Ach, da bist du ja“, grinsten und waren wieder weg. In der Woche darauf grüßten mich alle Kinder mit Namen und ich sie. Einige Eltern waren sichtlich irritiert. Wer ist Nils, wieso „sitzt er immer an der Snackbar“ und warum redet mein Kind mit ihm so als würden sie sich irgendwie von früher kennen? Also stellte ich mich auch den Eltern. Zwei Drittel habe ich ungefähr geschafft. Dann war es vorbei. Ab da war die Kita eine Kinderabwurfstelle mit einer Verabschiedungszeit von unter 10 Sekunden. „Ich hab dich lieb mein Herz, viel Spaß“, Seitentür auf, rein, Seitentür zu, winken, weg. Das ist nicht als Kritik an der Kita gemeint, im Gegenteil: Die Kita meiner Kinder hat alles richtig gemacht und sich nach Kräften bemüht, auch in den absurdesten Pandemiesituationen eine kompetente und liebevolle Anlaufstelle für die Kinder zu sein.

Mir ist nur erst in dieser Situation aufgefallen, welche zentrale Bedeutung das für Eltern hat, was man als Kitadrumherum bezeichnen könnte. Ich hab mich auch schon vorher gerne in den Kitas meiner Kinder aufgehalten. Ich habe auch vor Corona gerne mit anderen Eltern und Kindern geschwatzt und ein paar Sätze mit Erzieherinnen und Erziehern gewechselt. Ich hatte das aber immer für irgendwie nebensächlich gehalten. Für Small Talk, Plauderei und kurz noch in der Einrichtung rumhängen. In Wirklichkeit ist das alles ziemlich hauptsächlich. In Wirklichkeit findet ein Entwicklungsgespräch nicht nur einmal im Jahr in den Büroräumen der Kita bei mäßigem Kaffee statt, sondern beinahe täglich. Wenn man von der Erzieherin in ein paar Sätzen erfährt wie es heute war und was das Kind alles so getrieben hat. Wenn der Erzieher fallenlässt, für welches Projekt sich das Kind gerade besonders begeistert und mit wem es womöglich Streit gibt.

Eine gute Kita ist auch immer eine Kita für Eltern. Ein Ort, an dem man – so es die Zeit zulässt – 10 Minuten länger auf dem Außengelände herumsteht und mit Leuten quatscht, weil das Kind gerade noch spielen will. Wo sich spontane Nachmittagsverabredungen treffen lassen. Wo man sich anschauen kann, wie sich das eigene Kind in einer anderen Umgebung verhält, die es bestenfalls auch als ein Zuhause betrachtet. Wenn ich diese Zeit nicht gehabt hätte, bevor alles dicht gemacht sehr kompliziert wurde, dann wüsste ich beispielsweise nicht, dass meine Jüngste die beste Bauchschauklerin der Welt ist. So langweilige Papas wie ich denken nämlich, dass man beim Schaukeln sitzt. Tatsächlich aber gibt es auch Schaukeltücher, mit denen man Anlauf nehmen und auf dem Bauch wie ein Flugzeug fliegen kann. In so einer Elternkita kriegt man gesagt, wie großartig das Kind ist. Man bekommt aber auch unkompliziert gesagt, was gerade nicht so gut funktioniert: Essen, Schlafen, Freundschaften, Zuhören. Und zwar nicht als „Ihr Kind funktioniert nicht!“ Vorwurf, sondern als „Dabei tut sich Ihr Kind gerade schwer, ist das bei Ihnen Zuhause auch so, vielleicht können wir es ja gemeinsam unterstützen.“ Vorschlag.

Es ist schade, dass die Pandemie uns und viele andere Familien darum gebracht hat. Die letzten Kitajahre meiner Kinder waren Coronajahre. Was bleibt, ist die Erinnerung an Kitas, die nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern eine gute Anlaufstelle sind. Und in unserem Fall ein Bauchschaukeltuch im Flur vor dem Kinderzimmer.

Foto: markusspiske / photocase.de

Nils Pickert
Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­Feminist. Jeden Monat lässt er uns in seiner Kolumne an seiner Gedankenwelt teilhaben.