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Familienfeindlichkeit

Wir müssen einen ziemlich auffälligen Anblick geboten haben: Als meine Lebenskomplizin und ich mit den Kindern in den Osterferien durch eine italienische Fußgängerzone spazierten, wurden wir bestaunt, als wären wir von einem anderen Planeten. Ein Grund dafür ist sicher, dass wir als Standartdeutsche dazu neigen uns bei allem, was auch nur annähernd als frühlingshaften Temperaturen durchgeht, eher sommerlich zu kleiden. Ein weiterer Grund ist, dass meine Kinder in allen Varianten von blond daherkommen, die man sich so denken kann. Aber vor allem liegt es wohl daran, dass wir erkennbar eine Familie und zugleich so viele sind.

„Sie sind eine sehr mutige Frau!“ wurde meiner Lebenskomplizin vor ein paar Jahren von einer italienischen Flughafenmitarbeiterin mit Blick auf unsere vier Kinder gesagt. Im bambini-begeisterten Italien liegt die Geburtenrate bei 1,24 Kindern je Frau. Übersetzt heißt das, dass auf zwölf Todesfälle nur sieben Geburten kommen. In Deutschland liegt sie immerhin bei 1,54. Wobei man dazu sagen muss, dass für eine stabile Bevölkerungsentwicklung eine Geburtenrate von 2,1 Kindern je Frau notwendig ist. Für niedrige Geburtenraten gibt es natürlich verschiedene Gründe: Übersterblichkeit während der Pandemie, Klimakrise, allgemeine Verunsicherung, abnehmende Fruchtbarkeit und die private Entscheidung gegen Kinder – um nur einige zu nennen. Bei dem wichtigsten Grund wird allerdings mit unschöner Regelmäßigkeit so getan als wäre er ein großes Geheimnis, das sich niemand erklären könnte. Dabei gibt es kein Geheimnis. In Industrienationen ist die Geburtenrate generell nicht so hoch. Und in denen, die von familienfeindlicher Politik gekennzeichnet sind, ist sie noch einmal niedriger.

Eigentlich ist es ganz einfach: Frauen bekommen Kinder, wenn sie dazu gezwungen werden oder wenn sie sich darin frei und unterstützt fühlen. Also in religiös-konservativen Gesellschaften, wo man ihnen die reproduktiven Selbstbestimmungsrechte vorenthält, oder in progressiv-gleichberechtigten Gesellschaften, in denen Elternschaft möglichst wenig bis gar nicht mit finanziellen und sozialen Einbußen einhergeht. Deutschland und Italien hängen irgendwo dazwischen. Je mehr eine Gesellschaft von konservativen Rollenbildern auf der einen Seite und der Notwendigkeit progressiver Zukunftsgestaltung auf der anderen Seite zerrissen wird, umso mehr erstarren Menschen beim Gedanken an eine mögliche Elternschaft. Und tun es dann eben nicht. Weil sie sehen, wie viele Einbußen Eltern erleiden. Weil sie mitbekommen, dass es kaum Unterstützung gibt. Weil sie fassungslos darüber sind, wie sehr insbesondere Kinder und Eltern während der Pandemie von der Politik verraten wurden und immer noch werden. Und weil ihnen selbstverständlich nicht entgeht, dass es vor allem die Frauen sind, die unter diesen schlechten Bedingungen zu leiden haben.

Dass Familienfeindlichkeit immer auch Frauenfeindlichkeit bedeutet, sieht man gegenwärtig sehr deutlich an Südkorea. Die Geburtenrate beträgt dort 0,81. In dem Land tobt ein Kulturkrieg um die Rolle der Frau. Bei den letzten Wahlen liefen Männer scharenweise in das konservative Lager, das Frauen qua Geschlecht zurück an den Herd und in das Geburtsbett kommandieren will, während Frauen überdurchschnittlich oft liberal gewählt haben, weil sie sich nicht länger in Geiselhaft übergriffiger männlicher Ansprüche nehmen lassen wollen. In Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit kommt Südkorea von 156 Ländern nicht einmal unter die ersten 100 – ist aber zugleich die elftgrößte Industrienation. Daran ist nichts geheimnisvoll. Das ist einfach nur das Ergebnis von systematischer Frauenverachtung, die sich nicht mehr ganz so erfolgreich durch Politik und/oder Religion auch und gerade in die Köpfe der weiblichen Bevölkerung indoktrinieren lässt. Und wenn es kein Geheimnis ist, dann sollen doch alle wissen, was in Sachen Familienfreundlichkeit zu tun ist. Auch hier in Deutschland. Damit Menschen sich nicht gegen die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen für Kinder entscheiden, sondern mit ihnen.

Foto: Michael Kroul auf Unsplash

Nils Pickert
Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­Feminist. Jeden Monat lässt er uns in seiner Kolumne an seiner Gedankenwelt teilhaben.