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Zwischenmeerig

Am glücklichsten sind die Deutschen laut Glücksatlas immer noch in Schleswig Holstein. In Bayern ist man zwar auch sehr glücklich, in Schleswig Holstein jedoch ein bisschen meer. Woran das liegt, durfte ich mit meiner Lebenskomplizin und unseren beiden Kleinen vor kurzem wieder einmal erfahren. Ich war für eine Lesung aus meinem Kinderbuch zum Norden Festival auf die Schleswiger Königswiesen an der Schlei eingeladen. Das klang so verlockend, dass ich schon im Frühling beschloss, die drei im Spätsommer mitzunehmen. Beste Idee überhaupt. Die Kurzen reden immer noch davon, dass sie in einem echten Bauwagen übernachten durften. Das Wetter war herrlich, die Leute unglaublich freundlich, das Essen phantastisch und das Festival ein Traum. Als ich die Veranstalter fragte, was sie tun würden, wenn das Wetter schlecht wäre, antworteten sie: „Uns keine Sorgen machen. Die Leute kommen trotzdem.“ Sich keine Sorgen zu machen, verbinde ich nicht gerade mit Deutschen. Es scheint aber tatsächlich so, dass wenn man auf das eine oder das andere Meer schaut, die Perspektive sich ein wenig weitet und man davon abrückt, was womöglich nicht ganz so gut ist. Und wo wir schon mal zwischen den Meeren waren, haben wir Eltern die Gelegenheit genutzt, mit den Kindern nach Laboe zu fahren, weil mein Achtjähriger sich das schon lange gewünscht hat. Immerhin sind seine Schwester und er die womöglich einzigen beiden echten Laboer, die es momentan gibt.

Das muss ich erklären: Eigentlich gilt man nur als echter Laboer, wenn man mindestens in vierter Generation hier lebt und/oder mit Nachnamen Arp heißt. Das mag für uns nicht zutreffen, aber dafür sind meine Kinder in diesem Ort geboren worden. Die anderen mögen Laboer und Laboerinnen sein – sie sind Laboehème. Mit Laboehème waren wir also in der alten Heimat, haben Fischbrötchen gegessen, Schiffe geschaut, Sandburgen gebaut und Freunde getroffen. Laboehème war sogar im Wasser. Als wir uns nachmittags wieder auf den Weg Richtung Schleswig gemacht haben, ist mir wieder aufgefallen, dass ich Kiel als Stadt mag. Kiel ist bunt und durchmischt, hat gute Ecken und gute Orte. Es gibt eine Pickertstraße, mit der ich mich aus unbekannten Gründen verbunden fühle. Es gibt ein großartiges Theater, an dem sogar ein echter Battlerapper Mitglied des Ensembles ist (herauszufinden, was und wer das ist, wäre dann die Knobelaufgabe für euch bis zur nächsten Kolumne). Als wir über den Nord-Ostsee-Kanal zurückfuhren, staunten meine Kinder einmal mehr über die Höhe der Brücke und über die „fetten Schiffe“, die unter uns durchfuhren. Sie zählten Pferde, Schafe und Kastanienbäume. Sie freuten sich über Land, Licht und Leute. Über die Farben.

Dass ich an dieser Stelle als Deutscher selbstverständlich auch etwas zu bekritteln habe, sollte klar sein: Stadt, Land, Fluss und Meer müssen schon irgendwie miteinander verbunden werden. Andernfalls bleiben alle in ihren eigenen kleinen Bereichen und als Mobilitätsmöglichkeit viel zu häufig aufs Auto angewiesen. Ja, in den letzten Jahren hat sich einiges getan, aber das ist alles zu langsam und nicht umfassend genug. Mit knapp 250.000 Menschen sollte Kiel an ÖPNV deutlich mehr draufhaben als bisher vorhanden. Ja, es gibt seit letztem Jahr drei Plug-In Hybrid Fähren auf der Förde und zwei vollelektrische Fähren auf der Schwentine. Ja, es werden hier und da Radwege ausgebaut. Ja, die Bedingungen für den Einsatz von Straßen-, Schwebe- und Seilbahnen sind ausgesprochen schwierig. Aber bis 1985 hatte Kiel eine Straßen- und bis 1988 eine Seilbahn. Das hätte man alles längst in die Jetztzeit überführen müssen. Stattdessen steckt das Ganze (löblich, aber nicht ausreichend) immer noch in Planungsphasen fest. Busse und ein paar Züge reichen nicht, um einem Land zwischen den Meeren Mobilität zu ermöglichen. Sie sind auch ganz sicher nicht genug, um die Luftverschmutzung in der Landeshauptstadt zu verringern. Ich würde nächstes Jahr gerne wieder auf das Norden Festival kommen, nach Kiel, Laboe und kreuz und quer durch Schleswig Holstein. Am besten ganz ohne Auto.

Nils Pickert
Nils Pickert ist vierfacher ­Vater, Journalist und ­Feminist. Jeden Monat lässt er uns in seiner Kolumne an seiner Gedankenwelt teilhaben.