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Bunte Wiesen brauchen wilde Hummeln

Zwei Pädagoginnen über ihre Erfahrungen mit wilden Kids und deren Einfluss auf den Schul- und Kindergartenalltag

Wenn Davids Lachen durch die Tunnelrutsche dröhnt, drehen sich auf dem Spielplatz alle Köpfe in dieselbe Richtung. Kira nimmt dann lieber ihre Schaufel und geht zum Buddeln ein paar Meter weiter. Ihr ist das hier zu laut. In jeder Kindergartengruppe und in jeder Schulklasse spielen und lernen ganz unterschiedliche kleine Persönlichkeiten, ihren eigenen Weg zu gehen und miteinander zurechtzukommen. Die Frage, ob ein ruhiges oder ein energiegeladenes Kind „besser“ ist, stellt sich für die Pädagoginnen, mit denen wir gesprochen haben, nicht. Denn liebenswert ist jedes Kind auf seine einzigartige Weise. Und eine bunte Mischung eignet sich grundsätzlich sehr gut für eine ausgewogene Gruppendynamik.

Etwa jedes siebte Kind gilt als impulsiv und übermutig und zeichnet sich durch eine gewisse Gefühlsstärke aus. Dabei geht es nicht um Verhaltens­auffälligkeiten oder gar -störungen, sondern vielmehr um ein besonderes Temperament, das aus verschiedenen Aspekten resultiert – wie dem sozialen Umfeld, aus dem Bedarf an täglichem Input und vielleicht auch aus einem, nennen wir es: „Schwups Tabasco“ im Gen-Cocktail. In der Regel steckt in den Jungs ein bisschen mehr Energie. So oder so ist ein Mix aus unterschiedlichen Temperamenten durchaus willkommen, da jedes für sich einer Gruppe Impulse gibt. Schließlich gibt es ja auch eher aktive oder passive, lautere und weniger laute Kolleginnen und Kollegen innerhalb eines Teams. Kinder mit viel Temperament sind zum Beispiel in Einrichtungen mit Outdoor-Schwerpunkt – wie in einem Strand- oder Waldkindergarten – gut aufgehoben, wenngleich sich dies aus logistischen Gründen nicht für jede Familie anbietet. Die Kinder klettern im Wald, spielen am Strand und der „Lärm“ verteilt sich im Ostseewind. Das bringt auch eine gewisse Entlastung für die Erzieher*innen mit sich. Denn der Geräuschpegel innerhalb geschlossener Räume stellt durchaus manch Mitarbeitende auf eine Belastungs­probe.

Maike Müller ist Erzieherin in einem Kindergarten in Gaarden. Hier sind die Jungs in der Überzahl und haben zum Teil eine Extraportion Bewegungsdrang im Gepäck. Aber mit Ansprache, Input und dem Übertragen von Verantwortung seien sie zu kriegen, sagt sie. Manche Kinder tanzen eben gerne aus der Reihe. Hier bietet sich ein schönes Beispiel an, das an diese Redewendung anknüpft. Denn Maike Müller hat die Erfahrung gemacht, dass Kinder, die schnell aufdrehen, plötzlich eine echte Unterstützung für Erzieher*innen werden, wenn man sie konkret zur Mitarbeit auffordert. „Bei Ausflügen gehen wir in Zweierreihen. Die quirligen Kinder gehen meist vorweg, ab der Hälfte der Reihe reißt es dann oft auseinander. Statt ein wildes Kind in dieser Situation durch Sanktionen auszubremsen, übertrage ich ihm lieber die Verantwortung, die Gruppe zusammenzuhalten. Eine wichtige Funktion zu übernehmen, durch uns wahrgenommen und geschätzt zu werden, hilft dann nicht nur dem betreffenden Kind, sondern der ganzen Gruppe! In der Zuwendung und einem situationsgebundenen Eingehen auf das Temperament eines Kindes findet sich meiner Erfahrung nach ein besseres Ventil für überschüssige Energie als in Restriktionen.“

Bestenfalls bekommen wildere Kinder in einer Kindergartengruppe nicht mehr Grenzen oder strengere Regeln, sondern müssen etwas häufiger darauf aufmerksam gemacht werden als andere. Weitaus schwieriger ist es, den ganz stillen Kindern, denen man sich mit derselben Sorgfalt zu widmen hat, genau die Aufmerksamkeit zu geben, um die sie auf ihre ganz eigene, zurückgenommene Art bitten. Ohne Frage können laute, temperamentvolle Kinder Pädagog*innen im Alltag stärker fordern. Aber oftmals sprudeln diese auch über voller guter Ideen und werden so zu einer Art Motor innerhalb einer sonst vielleicht trägeren Gruppendynamik – ob man das nun laut und anstrengend oder kreativ und superaktiv nennt, bleibt wohl eine Frage der Perspektive und des individuellen Nervenkostüms.

In der Schule bestehen andere Bedingungen und somit auch Herausforderungen sowohl für die Kinder als auch für die Pädagog*innen. Bewegungsdrang hin oder her – während des Unterrichts ist eine gewisse Ruhe essentiell. Denn wer Unruhe in den Klassenraum bringt, macht es nicht nur sich selbst, sondern auch anderen schwieriger, dem Unterricht zu folgen.

Maja Kausch, Lehrerin an einer Kieler Gemeinschaftsschule, bestätigt, dass es in nahezu jeder Klasse, eine*n oder auch mal mehrere wildere Schüler*innen gibt. Das sei nicht immer einfach zu handhaben, vor allem wenn man eine Klasse in Vertretung unterrichtet: „Das läuft gerne mal auf einen Spagat zwischen mehreren Strategien hinaus – von stoischer Geduld bis zum energischen verbalen Durchgreifen. Manche Kolleg*innen versuchen es mit sogenannten Ruheinseln oder indem man Kinder vorübergehend aus dem Unterricht nimmt. Fakt ist, dass wir nicht die Kapazitäten haben, die es bräuchte, um jeder Person und jeder Situation passgenau zu begegnen.“ Zudem seien auch die jeweils potenziellen Ursachen für „wildere Wesenszüge“ zu berücksichtigen. Mal seien es fehlende Aktivitäten abseits des Schulalltags, mal ein außergewöhnlich hoher Intelligenzlevel und die damit einhergehende Unterforderung. Immerhin: „In höheren Jahrgängen relativiert sich die Heterogenität innerhalb der Klassen“, sagt Maja Kausch. „Die Mitschüler tragen dann selbst aktiv zur Ruhe bei, weil sie etwas aus dem Unterricht mitnehmen möchten.“

Unser Fazit: Kinder müssen so sein dürfen, wie sie sind. Klar. Und Kindern steht Unterstützung dabei zu, zu lernen auf andere Rücksicht zu nehmen. Der Weg dorthin ist streckenweise stürmisch – für wilde Hummeln ebenso wie für Pädagog*innen. Aber mit jeder gemeisterten Etappe bietet sich die Chance, aneinander zu wachsen.

Tina Ott
Autorin Tina Ott ist seit vielen Jahren für die verschiedenen Magazine des Rönne Verlags im Einsatz – und immer wieder begeistert, was für interessanten Menschen man bei Reportagen oder Interviews in unserer Region begegnet.